Huyendo la crítica – Pedros Abenteuer

Das Antiquariat war schon lange nicht mehr besucht worden. Außer Pedro und seinen Freunden kam kaum einer hierher. Deshalb war der Señor Calabaza auch meistens in seinem Haus, das durch eine kleine Hintertür zum Laden für alte Dinge zu erreichen war. Der Spott über seinen Namen (Calabaza = Kürbis, umgspr. Trottel) interessierte den alten Herren schon lange nicht mehr. Doch er wusste es zu schätzen, dass – obwohl sie sonst kleine Lausebengel gewesen waren – die nun bald Jugendlichen immer freundlich zu ihm gewesen waren. Daher ließ er sie auch gerne bei sich im Antiquariat ihren Nachmittag verbringen, wenn es draußen besonders heiß war.

Pedro war heute alleine hergekommen. Seine Mutter hatte genug mit den Kollegen von seinem Vater zu tun, die heute zu ihnen nach Hause eingeladen waren. Auch wenn er sich ungern die Schalen leckeren Essens seiner Mutter entgehen ließ, so konnte er doch getrost auf die dumpfen Sprüche der Männer verzichten, die ihm jedes Mal rieten, er solle sich doch etwas ordentlicher benehmen und zum Marktplatz gehen, um eines der hübsch angezogenen Mädchen zum Tanz aufzufordern.

Lieber verzog er sich bei dieser Affenhitze in den schummrigen Raum mit Ohrensessel, um eines der Bücher aufzuschlagen, oder versunken eines der Bilder anzusehen. Am besten gefiel ihm ein Bild, das keinen Inhalt hatte. Es war eine schlichte schwarze Fläche bis auf eine Signatur unten links. Dadurch, dass kein Thema abgebildet war, konnten seine Gedanken wunderbar auf Wanderschaft gehen. Hier zwischen den alten Gegenständen und Büchern fand er Ruhe.

Seine Favoriten stapelten sich neben dem Sessel auf dem Dielenboden. Er angelte sich das oberste Buch und blätterte hindurch, um die Seite wieder zu finden, die er zuletzt gelesen hatte. Dabei wirbelten viele kleine Staubpartikel hoch und tanzten und taumelten in einem der dämmrigen Lichtstrahlen. Er schaute auf und betrachtete sie versunken. Doch dann erregten zwei Männer mit Hüten vor dem Laden seine Aufmerksamkeit. Sie unterhielten sich zu leise als dass er etwas verstehen konnte. Allerdings spürte er die Anspannung der beiden sogar durch das teilweise verstellte Schaufenster. Sie schienen auf den Laden zuzusteuern. Die Straße war größtenteils leer, doch sie sahen sich um und kamen tatsächlich herein. Mit einem Satz versteckte Pedro sich hinter dem Sessel. Die Männer hatten ihn nicht bemerkt. Auch sonst verhielten sie sich so als erwarteten sie niemanden hier. Das kam Pedro verdächtig vor. Er überlegte, ob er schnell zu Señor Calabaza laufen sollte, um ihn zu informieren. Doch dann hätten die beiden Gestalten ihn ganz sicher wahrgenommen. Das wollte der Junge aber verhindern.

Was tat er denn sonst, wenn er jemandem eine Nachricht zukommen lassen wollte, ohne dass ein anderer davon Wind bekam…? Wind war das Stichwort! Schnell zückte er einen kleinen Bleistift, den er meist in der Hosentasche bei sich trug und hob ein loses Blatt vom verstaubten Boden auf. „¡Hay dos hombres en la tienda! No me parecen personas buenas. ¡Cuidado!“ (Da sind zwei Männer im Laden! Sie sehen nicht wie gute Menschen aus. Achtung!) schrieb er darauf. Dann faltete er es zu einem Flugzeug und warf es durch die kleine Hintertür, die glücklicherweise weit genug geöffnet war. Ha! Getroffen. Jetzt blieb ihm nur noch zu hoffen, dass der alte Herr es sehen würde und seine zwielichtigen Kunden überraschte.

Jene hatten sich in der Zwischenzeit gründlich im vorderen Teil umgeschaut und die wertvollsten Gegenstände eingehend betrachtet. Allerdings hatten sie sich vorgesehen, ja nichts zu berühren. Pedro kam all dies äußerst merkwürdig vor. Was wollten die beiden hier? Der Ohrensessel stand sehr nah an der Wand, sodass ein Spalt über der muffig riechenden Armlehne entstand, durch den er die beiden unbemerkt beobachten konnte.

Er versuchte genaueres zu verstehen. Doch auch wenn die Herren, die ihre Hüte sogar hier drinnen trugen, spanisch sprachen, so konnte Pedro ihre Mundart und einige der Wörter nicht deuten. Jedoch wurde ihm schnell bewusst: Die beiden kritisierten sämtliche Ausstellungsstücke. Und dann stritten sie sich in gedämpfter Stimme darüber, wie viel Wert diese besaßen. Der Junge staunte nicht schlecht. Señor Calabaza hatte nie Preisschildchen angefertigt, sodass er keine Ahnung hatte, was man für die schmucken Wanduhren, Kerzenständer, Gemälde, Schatullen und vieles mehr bezahlen musste. Er hatte sich ja auch nie dafür interessiert etwas zu erwerben, denn wenn er schöne Dinge sehen wollte, brauchte er doch nur hierher zu kommen. Und das war fast täglich der Fall.

Auf einmal landete lautlos ein Papierflugzeug auf seinem Fuß. Pedro schaute sogleich zu der kleinen Tür, doch der Besitzer ließ sich nicht blicken. Die Herren waren noch immer mit ihren Schätzungen beschäftigt, wenn auch schon um einiges lauter. Er öffnete das Papier. „¡Subete al revez al cuadro!“ (Steig rückwärts in das Gemälde!) stand dort. Wie sollte er denn das verstehen? Man konnte doch nicht durch eine bemalte Leinwand steigen! Die beiden Herren standen gerade vor dem größten Bild des Ladens. Sie hatten das Leinentuch jetzt doch zur Seite gezogen und diskutierten hitzig darüber. Ihre Stimmen waren nun keineswegs mehr gedämpft. Etwas an dem Bild ließ sie völlig vergessen, wo sie waren. Fast brüllten sie sich an, der eine Mann verlor seine Fassung und wollte dem kleineren einen Schlag versetzen, doch der griff dessen Faust und drehte ihm damit den Arm auf den Rücken. Jetzt bekam Pedro es aber mit der Angst zu tun! Da hinein wollte er unter keinen Umständen geraten und die Männer waren mittlerweile viel zu weit in das Ladeninnere gekommen. Er sah sich um. Das einzige Bild, was er unbemerkt erreichen konnte, war das schlichte schwarze. Vorsichtig, aber so zügig wie möglich richtete er sich auf und tastete, die wütenden Fremden noch immer im Blick, mit dem Fuß nach dem niedrig aufgehängten Gemälde. Wundersamerweise konnte er rückwärts wie durch einen Fensterrahmen hinaussteigen. Als er schon fast der Szene entflohen war, landete der größere Mann mit einer gewaltigen Wucht in dem Ohrensessel, dass er nur so ächzte. Der kleinere hatte wohl eine immense Kraft und was noch viel bedrohlicher war: Eine Pistole! Pedro riss die Augen auf. Wie gut, dass er die beiden nicht angesprochen hatte als sie eintraten, sondern sich versteckt, sowie seine Kritik an deren Verhalten vermieden hatte.

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