Ich bin mit der Annahme groß geworden, es gäbe einen passenden Beruf zu finden. Eine Form, in der ich einen Beitrag zur Gesellschaft leisten kann und im Gegenzug dafür entlohnt werde.
Es scheint jedoch keine passende Form für mich zu geben. Bisher finde ich nichts. Keine Form, die groß genug ist, um mein Ich ganz reinzugeben, ohne mich eingeengt zu fühlen. Denn wer ich bin, möchte ich ganz sein.
Mir scheint es nicht allein so damit zu gehen. Seit einiger Zeit beschäftige ich mich damit, ob Formen, also feste Berufe wirklich nötig sind. Ich glaube, es ist an der Zeit, unser Förmchen-Modell von Arbeit zu überdenken – neu zu denken.
Es bringt nichts, ein Modell weiterzuentwickeln, welches auf Werten gebaut ist, die grundlegend betrachtet nichts mehr mit unserer heutigen Ausrichtung zu tun haben. Es geht nicht mehr ums bloße Erfüllen von Funktionen. Es geht jetzt um kreativen Selbstausdruck.
So idealistisch das klingen mag, dieser Ansatz ist pragmatisch und funktionstüchtig! Denn wenn jeder dem nachgeht, was seinem Selbst entspricht, sind alle Bereiche erfüllt. Wir Menschen begeistern uns für die unterschiedlichsten Dinge. Je eher wir uns also erlauben, unserem Potenzial gemäß zu handeln, desto eher kann ein Wandel der Gesellschaft hin zu sinnvollem Produzieren, nachhaltigem Wirtschaften und vielem mehr entstehen.
Sobald wir unsere Vorstellungen loslassen, wie die Arbeitswelt zu funktionieren hat, desto eher können wir uns trauen das zu tun, was uns ein inneres Anliegen ist. Desto eher können wir unsere Berufung leben.
Unser Arbeitsmarkt ist bisher wie ein Gebilde aus verschiedenen Formen. Verschiedene Branchen, die sich teilweise überschneiden oder ergänzen. Historisch betrachtet ergibt das auch Sinn. Früher galt es, bestimmte Funktionen in der Gesellschaft zu erfüllen.
Jeder übernahm eine Form (einen Beruf), ohne die Priorität, ob sie zum eigenen Potenzial passte, weil es einfach getan werden musste. Mit Glück gefiel einem die Tätigkeit und mit großem Glück passte ein großer Teil des Selbst in diese Form.
Nun ist es dran, sich zu überlegen, ob die herkömmlichen Formen wirklich noch sinnvoll sind. Die Zeiten haben sich geändert. Natürlich werden auch heute noch Schuhe gebraucht. Aber die Freiheit besteht, dass jemand es macht, dessen Leidenschaft Schuhe und Handwerk sind. Oder jemand, der eine tolle Idee für eine Maschine hat, die Schuhe herstellt.
Ob Fashionista, Handwerker oder Ingenieur – jeder* kann sich heutzutage das Wissen und die Ressourcen zulegen, um Schuhe anzufertigen. Aber auch das muss nicht bedeuten, dass es das Einzige ist, was man tut.
*Jeder, der Zugang zu entsprechendem Wissen / Ressourcen hat.
Ich habe beschlossen, nicht mehr nach einem passenden Beruf zu suchen; sei es ein besonderes Berufsbild, oder eine vielseitig einsetzbare Tätigkeit. Mein Potenzial ist zu flexibel für eine Form. Das möchte ich mir erhalten. Die Flexibilität lässt mich immer wieder neue Ausdrucksmöglichkeiten für mein Ich schaffen.
Dementsprechend gehe ich den Weg von der anderen Seite: Erst Potenzial erkennen, dann Ausdrucksmöglichkeiten schaffen.